Peter Bloch gehörte 1939 zum letzten Abitur-Jahrgang am Philanthropin

Stolpersteinverlegung im Westend

Peter Bloch gehörte 1939 zum letzten Abitur-Jahrgang am Philanthropin

Stolpersteinverlegung im Westend

Es ist ein Dokument mit Seltenheitswert: ein Abiturzeugnis für einen Philanthropin-Schüler aus dem Jahr 1939. Der Abiturient hieß Peter Bloch. Am vergangenen Freitag, den 23. Juni 2017, erinnerte eine Stolpersteinverlegung vor dem Wohnhaus der weltoffenen Familie Bloch in der Lindenstraße 39 an die Lebenswege des Schülers und seiner Eltern.

 

 

Der spätere Journalist und Historiker Peter Bloch wurde am 19. Oktober 1921 in Frankfurt am Main in eine angesehene und für ihre Kunstsammlung bekannte Arztfamilie hinein geboren. Er lebte mit seinen Eltern im Westend und starb als US-Bürger am 31. Juli 2008 in New York City.

Einigen ist Peter Bloch bekannt als Historiker, Buchautor, Experte für puerto-ricanische Kunst und Musik – und nicht zuletzt als leidenschaftlicher Redner gegen jegliche Form von Nationalismus, Antisemitismus und Engstirnigkeit. Noch mit mehr als 80 Jahren kam er mehrfach in seine Geburtsstadt Frankfurt zurück, um in Schulen über seine eigene Familiengeschichte zu berichten und den Jugendlichen zu schildern, was er als Schüler erlebt hatte. Als Gymnasiast war Peter Bloch 1936 als letzter jüdischer Schüler aus der Wöhlerschule vertrieben worden. Drei Jahre danach legte er am Philanthropin sein Abitur ab – mit dem letzten Jahrgang, für den das noch möglich war.

Da das Zeugnis vom 29. März 1939 ein persönliches Dokument ist, dürfen wir es an dieser Stelle nicht abbilden. So kurz vor unseren eigenen Zeugnisausgaben am Freitag wollen wir aber zumindest die Noten von Peter Bloch verraten: Religion: gut; Deutsch: sehr gut; Latein: befriedigend; Französisch: gut; Englisch: gut; Geschichte (Staatsbürgerkunde): sehr gut; Erdkunde: gut; Mathematik; ausreichend; Physik; ausreichend; Chemie: ausreichend; Biologie; gut; Zeichnen und Kunstunterricht: sehr gut; Musik: befriedigend; Leibesübungen: ausreichend.

Die Erinnerung an Peter Bloch freut uns besonders jetzt, zu dem Zeitpunkt, an dem wir mitten in den Vorbereitungen für die Gymnasiale Oberstufe stecken, die 82 Jahre nach seinem Abitur wieder das Abitur im Philanthropin ermöglichen wird.

 

 

P.S. Wer mehr über Peter Bloch wissen will, kann an dieser Stelle weiterlesen.

Hannah Eckhardt vom „Verein Stolpersteine“ hat in Archiven und mit Hilfe von Zeitzeugen über Peter Bloch recherchiert. Mit ihrem Einverständnis dürfen wir ihre Informationen für diesen Newsletter verwenden:

Peters Vater Arthur Bloch wurde am 2.7.1880 in Mainz geboren, wuchs auf in Mainz und machte in Darmstadt Abitur. Es folgte das Medizinstudium in München und Berlin, abgeschlossen mit der Promotion 1903 in München, Approbation ebendort. Seine erste Anstellung fand er im Jüdischen Krankenhaus in Berlin als Assistenzarzt von Professor Dr. James Israel, der als Nephrologe und Internist eine weltweit gefragte Kapazität war. Israels Tochter Else sollte später Arthurs Ehefrau werden. 1910 folgte der berufliche Wechsel nach Frankfurt a.M., er wirkte als Facharzt für urologische Chirurgie am Krankenhaus des Vaterländischen Frauenvereins vom Roten Kreuz und als Ausbilder für Fachkrankenschwestern.

Den ersten Weltkrieg erlebte er als aktiver Teilnehmer, war Stabsarzt an der Westfront. Else, mittlerweile geschiedene Czapski, die 1891 geborene Tochter seines Berliner Professors James Israel, wurde 1920 seine Ehefrau; ihnen wurde am 19.10.1921 der Sohn Peter geboren. In Interviews und in der Broschüre „Der Salon meiner Mutter“ erinnerte sich Peter Bloch an das kultivierte, von wertvollen Kunstwerken, kostbaren Antiquitäten und antiquarischen Büchern geprägte Zuhause, in dem ihm als Kind der lebenslange Sinn für Ästhetik eingepflanzt wurde. „Ihre umfangreiche Sammlung hätte das Kunstmuseum einer mittleren Stadt füllen können“.

Das Leben dieser assimilierten Familie erhielt einen ersten schweren Schlag, als Arthur Bloch 1933 nach über 20-jährigem Wirken seine Entlassung aus dem Krankenhaus erfuhr. Am Schifferkrankenhaus und danach am Israelitischen Krankenhaus konnte er noch für einige Zeit als Operateur tätig sein. Dann mussten drei Zimmer der Westend-Wohnung in Praxisräume umgewandelt werden. Inzwischen hatte sich Arthur Bloch auf zwei Palästinareisen nach Emigrationsmöglichkeiten umgetan, doch wegen der Verbindung zu seinen Frankfurter Patienten und wegen des in Palästina vermissten deutschen Waldes diese Idee wieder verworfen. Über die Station Niederlande flüchtete er nach Belgien, während Peter ein Visum für England erhielt und bei Verwandten seiner Mutter Aufnahme fand. Else Bloch löste zusammen mit der treuen (nicht-jüdischen) Familienfreundin Luise Fölsche den Haushalt auf; sie wohnten bis zur Ausreise in der Pension Hirschfeld in der Myliusstraße, bei den Eltern von Mile Braach. Die bewegende Nachkriegskorrespondenz zwischen Marianne Hirschfeld und Else Bloch zeugt von gegenseitiger Sympathie und persönlicher Nähe. Die Lifts wurden in Rotterdam von Nazis geplündert, die Kunstschätze sind nie wieder aufgetaucht. Im August 1939 fand sich die Familie in Belgien wiedervereint, Peter kam aus England dazu.

Selbst in den Jahren der Verfolgung wurde Arthur Bloch von NS-Offizieren „an der Hintertür“ konsultiert. Peter begann ein Studium in Brüssel und wurde nach der Besetzung Belgiens Mitglied des Widerstandes; er verfasste Kommentare über die deutsche Politik. Als er im Frühjahr 1942 eine amtliche Vorladung im Zuge der Vorbereitung der Deportation jüdischer emigrierter Studenten erhielt, flüchtete er mit einem von seinem Vater organisierten gefälschten Pass als „Pierre Boulanger“ in die Schweiz. Dort erfuhr er Internierung, Arbeitslager, Hunger, Entbehrung und Entwürdigung. Seine Schrift „When I was Pierre Boulanger“ gibt davon authentisch Zeugnis. Die nach Belgien geflüchteten Frauen Else Bloch und Luise Fölsche gingen 1943 gemeinsam in ein Versteck, Arthur Bloch in ein anderes. Ein „Greifer“, ein jüdischer Denunziant, spürte ihn auf – der Entdeckte ohrfeigte den Verräter. Es war laut Mitteilung von Peter Bloch „gros Jacques“, der „fette Jacques“, der nachweislich mindestens 57 jüdische Personen an die Nationalsozialisten verriet und auslieferte. Am 13.7.1943 erfolgte Arthurs Inhaftierung im Sammellager Malines / Mechelen, wo er tags darauf zu Tode kam.

Else Bloch überlebte unter großen existentiellen Schwierigkeiten und ging 1949 zusammen mit ihrem Sohn Peter in die USA. Sie wurden 1954 US-Citizens. Else starb 1974 in New York City; Peter Bloch, der erfolgreiche Kultur- und Musikwissenschaftler, Autor, Erforscher und Freund lateinamerikanisch-karibischer Kultur und Musik, starb in New York am 31. Juli 2008.