Rückkehr in die Kindheit

Nach 76 Jahren besucht Inge Grünewald-Ariel ihre Schule

Rückkehr in die Kindheit

Nach 76 Jahren besucht Inge Grünewald-Ariel ihre Schule

2015-05-18-Gruenewald-3

„Ich bin so aufgeregt“– die 85-Jährige, die vor 76 Jahren als 9-jährige Inge Grünewald das Philanthropin verlassen musste, lässt sich aus dem Rollstuhl helfen. Eine Anzahl Objektive ist auf sie gerichtet, das Fernsehen ist da. Die Schulleiterin Dr. Hartmann, der Kämmerer der Stadt Frankfurt, Uwe Becker, begrüßen sie, zeigen ihr den Willkommensgruß der Schule auf dem Bildschirm. Wie fühlt man sich, da man doch weiß, dass jeder „Heimkehrer“ Geschichten von Vertreibung, Leid und Tod mitbringt?

Oben, im schönen Synagogalraum unter dem Dach, an dem die Buntglasfenster alles in ein angenehmes Licht tauchen, setzen sich drei Schüler neben den Gast und fragen behutsam nach ihrer Geschichte. Sie spricht die Sprache ihrer Kindheit, Deutsch. Mit ihren Kindern, Enkeln, ja sogar 6 Urenkeln spricht sie Iwrit. Schon 60 Jahre wohnt sie in einem Kibbuz in Israel.

Von der Schule erinnert sie sich nur an die Außenansicht, um so deutlicher aber an das jüdische Kinderhaus. Sie blättert in einem Poesiealbum, mit einer Widmung ihres Vaters und Beiträgen ihrer Mitbewohnerinnen.

Als sie ein Jahr alt war, starb ihre Mutter, ihr Vater besuchte sie regelmäßig und versuchte, sie aus Deutschland herauszubringen. Endlich, 1939 gelang es, sie mit einem Cousin nach Uruguay zu schicken. Ihr war die Bedeutung damals gar nicht bewusst. Sie wurde dort nicht heimisch, erfuhr dort 1944 von dem Tod des Vaters in Theresienstadt. Erst, nachdem sie mit Hilfe des zionistischen Jugendverbands Bne Akiwa nach Israel ausreisen konnte, fand sie eine neue Heimat. 

Ein anderer Gast ergreift das Wort: Uwe Becker, als Vertreter der Stadt. Dass jüdisches Leben in Deutschland wieder möglich sei, dafür sei „diese Schule ein großes Ausrufungszeichen.“ 

Eine Überraschung bringt Pfarrer Volker Mahnkopp mit. In seinem Gemeindebezirk lag das jüdische Kinderhaus, in der Hans-Thoma-Straße 24. Bei der Recherche über dessen Geschichte bekam er Kontakt mit Frau Inge Grünewald-Ariel, und lernt sie heute kennen. Er bringt die Originalzeugnisliste mit, welches er vom Wiesbadener Archiv auf Bitten hin erhielt. Neben dem letzten Stempel steht: „Verlässt die Schule. Grund: Auswanderung nach Uruguay.“ 

Die Reise in die Vergangenheit ist noch nicht zu Ende. Am Nachmittag werden vor der letzten Wohnung ihres Vaters im Musikantenweg Stolpersteine verlegt. Anschließend fährt sie mit ihrer Tochter und ihrem Sohn an den Ort, an dem ihr Vater umkam: nach Theresienstadt.