Begegnung der Generationen auf der Bühne

Zeitzeugentheater

Begegnung der Generationen auf der Bühne

Zeitzeugentheater

Am 02. Februar 2020 führten Zeitzeugen und Jugendliche, darunter mehrere aus unserer Schule, in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt ein sehr ergreifendes Theaterstück über das Schicksal der sechs mitwirkenden Zeitzeugen der NS-Zeit auf. Zunächst begrüßte Aron Schuster als Direktor der ZWST das Publikum.

Das Konzept der Aufführung bestand darin, dass die Jugendlichen die jeweils eindringlichste Erinnerung jedes einzelnen Zeitzeugen an die grauenvolle Zeit verarbeiten und auf die Bühne bringen, also Ausschnitte aus dem Leben der Zeitzeugen nachspielen. Eva Szepesi war die erste, deren Erinnerungen in Szene gesetzt wurden: Eva wurde am 29. September 1932 in Budapest geboren, floh vor den Deportationen in die Slowakei; 1944 wurde sie aber von den Nazis entdeckt und ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Eva lebt heute in Frankfurt – mit ihren zwei Töchtern, vier Enkelkindern und zwei Urenkeln. Die Jugendlichen spielten eine Szene, in der extreme Ausgrenzung und Menschenverachtung schon durch Kinder in den frühen Jahren der NS-Zeit spürbar wurden. Diese Szene war ein sehr bewegender Einstieg in die Aufführung und zog das Publikum sofort in den Bann. Eva führte in Folge ihrer Kindheitserfahrungen ein Leben, das von Sehnsucht nach ihrer Mutter, die sie vor ihrer Flucht in die Slowakei zum letzten Mal gesehen hat, bestimmt war.

Das nächste Schicksal auf der Bühne war das von Dora Zinger: Geboren wurde sie 1940 in Wadu-Rashkovo/Moldavien und lebte dann von 1941 bis zur Befreiung im Ghetto Wynniazja. Erst als Jugendliche hat sie erfahren, dass ihre leibliche Mutter schon sehr früh im Ghetto gestorben war und sie von ihrer Tante aufgezogen worden ist. Die Szene der Erkenntnis um die wahre Mutter war sehr ergreifend und traurig. Heute lebt Dora mit einem Sohn und zwei Enkelsöhnen in Frankfurt.

Aviva Goldschmidt, die nächste Zeitzeugin des Abends, wurde 1938 in Borislav geboren. Zu Beginn des Krieges kam sie gemeinsam mit ihrer Mutter in unterschiedlichen Verstecken unter, musste schließlich aber doch ins Ghetto. Dort wurden 1945 Aviva und ihre Mutter von der Roten Armee befreit. Die Aufmerksamkeit und Empathie des Publikums wuchsen zunehmend in der Szene, die die beiden Frauen im Versteck zeigte. Die jungen Darsteller flüsterten immer wieder dieselben Worte: „Pscht! Sei still! Keine Angst! …“ Die Angst der beiden Frauen war im ganzen Saal greifbar. Aviva lebt heute mit ihrem Mann in Frankfurt. Sie hat zwei Töchter und sechs Enkelkinder.

Abraham Rosen, der einzige Mann unter den Zeitzeugen auf der Bühne, wurde 1931 in Lodz/Polen geboren und wanderte 1938 mit seiner Familie nach Israel aus. Im Podiumsgespräch nach der Aufführung räumte er seine ursprüngliche Unsicherheit darüber ein, überhaupt am Zeitzeugentheater teilnehmen zu können: Er habe schließlich den Krieg nicht in Europa miterleben müssen. Die Einreise nach Israel wurde ihm und seiner Familie zunächst verweigert. Nur dank seiner sehr entschlossenen und furchtlosen Großmutter, die bereits 1926 nach Israel ausgewandert war, gelang es ihnen Ausreisepapiere zu erhalten. Die sture Oma hatte sich nämlich einfach in die Einwanderungsbehörde gesetzt und keinen Millimeter von ihrem Platz bewegt, bis sie die nötigen Papiere für ihre Familie erhalten hatte. So gelang es der alten Frau ihre Familie vor den Grausamkeiten der Nazis zu retten. Das Publikum war ergriffen und erheitert zugleich. Abraham lebt heute in Frankfurt. Er hat zwei Töchter und vier Enkelkinder.

Alexandra Stimmers Erlebnisse beeindruckten die Zuschauer mindestens ebenso. Alexandra wurde 1939 in Odessa geboren und war eine der wenigen, die die Erschießungen der ukrainischen Polizei im Auftrag der Deutschen überlebt hat. Aufgrund dessen wurde sie später von den anderen Überlebenden nur „der Engel“ genannt.

Den Abschluss des Schauspiels bildete eine berührende Szene aus Liesel Binzers Leben: Sie wurde 1936 in Münster geboren und musste nach dem 9. November 1938 mit ihrer Familie in das „Judenhaus“ ziehen. Von dort wurde sie vier Jahre später in das KZ Theresienstadt deportiert. Seit 1965 lebt Liesel im Rhein-Main-Gebiet. Sie hat drei Kinder und sieben Enkelkinder. Dass sie noch heute mit ihrer nordwestdeutschen Heimat verbunden ist, hörte man schon an ihrem Dialekt, den sie offenbar noch aus Kindertagen beibehalten hat.

Das Spiel der Schülerinnen und Schüler wurde musikalisch am Klavier begleitet. Die Musik gab der Aufführung eine enorme Intensität und unterstrich die eindrucksvolle Atmosphäre. Am Ende des Theaterstücks sangen die Zeitzeugen zusammen mit den Jugendlichen das Lied „Chai“ – „Leben“. Der Eindruck des innigen Zusammenspiels der Generationen, die emotionalen Erlebnisse des Abends und dieses symbolträchtige Lied rührten das Publikum zutiefst. Mit Tränen in den Augen jubelten die Zuschauer in Standing Ovations.

Ein Podiumsgespräch mit Verantwortlichen und Mitwirkenden des Projekts rundete die Veranstaltung ab.

Sie konnte bewusst werden lassen, dass es diese Art von Theater bald nicht mehr geben kann. Die Zeitzeugen sterben und niemand wird mehr über eigene Erlebnisse aus der NS-Zeit berichten können. Der Austausch mit der dritten und vierten Generation ist daher unglaublich wertvoll und wichtig. Die Zeitzeugen und die jungen Darsteller schenkten dem Publikum daher ein nachhaltiges Erlebnis, das noch lange Zeit nachwirken wird.

Gerne weisen wir darauf hin, dass es wegen der großen Nachfrage am Dienstag, 19.05.2020 noch einmal eine Gelegenheit geben wird, diese besondere Begegnung der Generationen auf der Bühne zu erleben, und laden im Namen der ZWST und der Gemeinde bereits sehr herzlich dazu ein.