„Mir ist es ganz wichtig, den Zugang zum eigenen Gefühl zu vermitteln“

Ein Interview mit der neuen sozialpädagogischen und psychologischen Beraterin

„Mir ist es ganz wichtig, den Zugang zum eigenen Gefühl zu vermitteln“

Ein Interview mit der neuen sozialpädagogischen und psychologischen Beraterin

Seit Oktober 2021 gibt es die neue sozialpädagogische und psychologische Beratung der Lichtigfeld-Schule – ein Angebot, das ab der ersten Stunde mit großer Resonanz angenommen wurde. Heute treffe ich Frau Freilinger in ihrem freundlich gestalteten, einladenden Büro zu einem persönlichen Gespräch.

Cathy Miller (CM): Frau Freilinger – es fällt sofort auf, dass Ihre Tür offensteht.

Diana Freilinger (DF): Ja, solange ich nicht in einem Gespräch bin, steht meine Tür immer offen! Das ist auch im übertragenen Sinn gemeint. Schüler*innen sowie Lehrer*innen und auch Eltern können hier erzählen, was sie beschäftigt. Jeder ist willkommen, ohne Vorbehalte. Und natürlich wird hier in diesem Raum alles vertraulich und anonym behandelt.

CM: Was steckt hinter Ihrem Angebot der sozialpädagogischen und psychologischen Beratung?

DF: Meine Aufgabe ist es zuvorderst, Menschen zuzuhören und mit ihnen ins Gespräch zu kommen, wenn es ihnen nicht gut geht. Dabei ist es mir wichtig, ihnen den Zugang zum eigenen Gefühl zu vermitteln, Emotionen einen Raum zu geben. Die Menschen können hier lachen, weinen, auch mal lauter werden, sich richtig entladen, um dann, nach und nach, in ein konstruktives Gespräch zu finden. Hier kann man traurig oder glücklich sein, über „Fehler“ reden, und seinen ganz individuellen Weg finden. Die Probleme – ob groß oder klein – haben hier ihren Raum und ich nehme sie ernst. So finden sich neue Impulse und jeder kann selbst entscheiden, was er oder sie davon umsetzen möchte.

CM: Wie haben Sie das Angebot in der Schule bekannt gemacht?

DF: Ich bin in der ersten Woche in alle Klassen gegangen und habe die Beratung und mich vorgestellt. Dabei betone ich, dass ich weder Psychologin noch Richterin bin. Die Menschen sollen nicht befürchten, in irgendeiner Form nicht „OK“ zu sein, wenn sie zur mir kommen. Im Gegenteil. Es gibt hier kein Schema und jeder Mensch, jede Frage, jedes Bedürfnis ist erstmal genauso gut und richtig und wird ganz persönlich und individuell betrachtet.

CM: Wie wird Ihre Beratung angenommen?

DF: Sehr gut. Es war ein toller Einstieg: Ich wurde an und von der Schule mit großer Offenheit und Herzlichkeit empfangen. Und vor allem mit Neugierde. Neugierde auf das Angebot, aber auch auf mich. Diese Art von Authentizität und des ehrlichen Interesses ist für mich das Besondere an dieser Schule. Und genau das passt zu mir. Denn Authentizität ist mir nicht nur persönlich wichtig, sondern meines Erachtens auch eine wesentliche Voraussetzung, um mit dem zu arbeiten, was wir alle aus den unterschiedlichsten Gründen gerne vergessen und ungern teilen: unser Gefühl.

CM: Wer genau kommt zu Ihnen?

DF: Das Angebot ist für alle gedacht, die zur Schulgemeinschaft gehören. Also, Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern. Im Schwerpunkt sind es bisher Schüler*innen. Ganz zu Anfang kamen Jugendliche der E- und Q-Phase. Nach und nach kamen dann die Schüler*innen der Mittelstufe. Die jüngeren Klassen 5 und 6 brauchen etwas mehr Unterstützung, um zu verstehen, was ich da eigentlich genau mache. Aber auch Eltern rufen gerne an und viele Lehrer*innen kommen auf ein kurzes „Tür und Angel-Gespräch“ vorbei.

CM: Mit welchen Themen und Fragen kommen die Kinder zu Ihnen?

DF: Das ist sehr unterschiedlich. Oftmals sind es Themen aus dem Schul- und Familienalltag oder aus der Peergroup. Dabei geht es um Ärger zu Hause oder in der Klasse, auch das Vergleichen mit anderen oder die Angst, nicht gut genug zu sein, sind oft Thema. Manchmal gibt es aber auch Themen, die ganz persönlich und tiefgreifend sind und entsprechender Achtsamkeit und mehr Zuwendung bedürfen.

CM: Und seitens der Lehrer*innen: Was sind deren Anliegen?

DF: Die Zusammenarbeit mit Lehrer*innen läuft wirklich gut. Das freut mich ehrlich. Sie kommen, um sich auszutauschen und Impulse zu erhalten, um beispielsweise Kinder vor möglicher Überforderung zu schützen. Und durch einen konstruktiven Austausch entwickeln wir auch kreative Formate.
In der kommenden Woche z. B. werden wir in der Tutorenstunde im Klassenverband der Q-Phase über das Thema Leistungsdruck sprechen. In den Klassen 5 & 6 dagegen haben wir ein Spiel zum Thema Gefühle gespielt, was gut ankam und die Kinder feststellen ließ, dass sie mit negativen Gefühlen oder Erfahrungen nicht allein sind. Damit setzt sich viel in Bewegung.

CM: Welche Anliegen äußern Eltern?

DF: Die Eltern, die kommen, wünschen sich ebenfalls oftmals einfach nur ein paar Impulse oder Anregungen. Manchmal gibt es auch die Frage nach externen Anlaufstellen zur Förderung oder Beratung. Da es für manche Eltern eine Hürde ist, sich im Büro zu treffen, biete ich Gespräche auch außerhalb des Gebäudes an. Das kann ein Treffen im Café sein oder ein Spaziergang. Oft reichen zwei bis drei Treffen, um neue Ansätze auszuprobieren.

CM: Sie sind jetzt ca. sechs Monate an der Schule tätig. Was fällt Ihnen besonders auf?

DF: Oh, da gibt es was ganz Bemerkenswertes: An dieser Schule ist der Wunsch zur Selbstreflexion auffallend hoch. Es gibt wenige Momente, in denen mit dem Finger auf andere gezeigt wird. Die meisten Menschen, die in die Beratung kommen, schauen erstmal bei sich. Das finde ich wirklich wunderbar. Nicht nur, weil es meinem Verständnis entspricht, sondern weil wir auf uns schauen sollten, wenn wir etwas verändern wollen. Denn dort, bei uns, ist der Anfang der Veränderung überhaupt nur möglich.
Außerdem erlebe ich die Offenheit in der Lehrerschaft sowie der Schulleitung und des Trägers als großartig. Wir haben die Möglichkeit, das Konzept flexibel zu gestalten, an die Bedürfnisse und Bedarfe anzupassen und die Beratung allmählich in der Schulgemeinschaft zu etablieren.

CM: Was ist Ihr pädagogischer Ansatz?

DF: Weg vom alleinigen Nutzen des Verstandes – hin zur Selbstwahrnehmung der Gefühle: In der Verknüpfung von beiden liegt mein pädagogischer Kernauftrag. Wenn wir versuchen, unsere Themen nur über den Verstand zu lösen, unterdrücken wir unser Gefühl. Das machen viele Menschen automatisiert, da so manches Gefühl gesellschaftlich nicht gern gesehen ist – Wut, Trauer, Schmerz. Schauen wir aber hin und benennen wir diese Gefühle, dann holen wir sie an die Oberfläche, sie sind nicht länger verborgen und wir können gemeinsam damit arbeiten. Oft steckt Angst dahinter. Angst, nicht zu genügen, zu verlieren, nicht gesehen zu werden. Allein das nur wahrzunehmen und auszusprechen kann befreiend sein. Dann finden sich plötzlich schnell neue Wege.

CM: Wenn Sie Ihr Konzept für uns noch einmal in wenigen Sätzen zusammenfassen: Wie würden Sie es beschreiben?

DF: Unsere Gefühle brauchen eine offene Tür, in doppeltem Sinn. Das gilt für alle Gefühle – ohne Vorbehalt. Und deshalb gibt es bei mir auch einen Raum für jeden Menschen und jedes Gefühl und jede Situation – damit wir gemeinsam nach Lösungen suchen und sie finden können. Darauf freue ich mich jeden Tag.

CM: Herzlichen Dank und viel Erfolg weiterhin.

 

Das Interview wurde von Cathy Miller geführt. Sie ist als strategische Beraterin für die Gestaltung und Pflege der Webseite der I. E. Lichtigfeld-Schule mit ihrem Team seit über 10 Jahren tätig.

 

 

Frau Diana Freilinger ist Sozialpädagogin (M.A.) mit Zusatzausbildung in diversen Bereichen u.a. der Kinder-, Jugend- und Familienarbeit und -beratung. Sie arbeitet jeweils Montag, Mittwoch und Donnerstag an der Schule. An diesen Tagen steht ihre Tür von 9.00 – 14.00 Uhr für Gespräche offen. Den Rest der Woche ist sie als Lehrbeauftragte an der Frankfurt University of Applied Science tätig. Diana Freilinger ist Mutter von zwei Kindern und nach einem „Ausflug“ in den Taunus wieder in den näheren Umkreis ihrer Heimatstadt Frankfurt zurückgekehrt.